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Digitaler Abschluss von Arbeitsverträgen: Ein Gespräch mit Herrn Dr. Bissels

Alexandrine Dutertry, Senior Director Sales & Partnerships DACH - 07/06/23

(Aktualisiert am 15/06/23)

Dr. Alexander Bissels ist Partner, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei CMS Hasche Sigle. Er berät Unternehmen auf sämtlichen Gebieten des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, insbesondere zu Fragen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung (u.a. Vertragsgestaltung, Auslegung und Anwendung der Tarifwerke der Zeitarbeit, Begleitung von Verfahren gegen Zeitarbeitnehmer, die BA und den Zoll etc.).

Herr Dr. Bissels ist Autor zahlreicher Publikationen, u.a. Herausgeber eines Kommentars zum AÜG. Darüber hinaus hält er regelmäßig Vorträge zu aktuellen arbeitsrechtlichen Themen, u.a. mit Bezug zur Arbeitnehmerüberlassung.

Die Wirtschaft hat deutlich ihren Wunsch nach Digitalisierung kommuniziert. Die meisten Unternehmen haben die Vorteile der Digitalisierung ihrer Prozesse erkannt und bereits entsprechende Maßnahmen ergriffen. Es scheint alles in bester Ordung.

Jedoch gibt es einen Stolperstein für Unternehmen, insbesondere für Zeitarbeitsunternehmen: mit Wirkung zum 1. August 2022 wurde § 2 Nachweisgesetzes (NachwG) geändert. Gemäß dieser Regelung muss dem Arbeitnehmer spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung eine Niederschrift mit Angaben zu den Vertragsparteien, zur Zusammensetzung und der Höhe des Arbeitsentgelts sowie zur vereinbarten Arbeitszeit ausgehändigt werden. Der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen in elektronischer Form ist (weiterhin) ausgeschlossen.

Es ist völlig verständlich, dass am ersten Tag einer Beschäftigung die wesentlichen Vertragsbedingungen bekannt sein und dokumentiert werden müssen. Schließlich möchte niemand eine Arbeit aufnehmen, ohne eine klare und eindeutige Bestätigung des Arbeitgebers über die wesentlichen Vertragsbedingungen, u.a. über die Arbeitszeit und die Vergütung, erhalten zu haben.

Für Zeitarbeitsunternehmen stellt sich diese Anforderung jedoch als eine nicht unerhebliche Herausforderung dar, da der Ausschluss der elektronischen Form als Prozessbremse wirkt. Wie können diese ihren externen Mitarbeitern, insbesondere bei kurzfristig angesetzten Einsätzen, rechtzeitig einen solchen Nachweis in Papierform zukommen lassen? Der Postweg dauert regelmäßig zu lange für derart schnelle Prozesse. Letztendlich müssen Zeitarbeitnehmer oft persönlich in die Niederlassung kommen, um den Nachweis rechtzeitig abzuholen, was Zeit in Anspruch nimmt und Fahrtkosten verursacht.

 

Frau Alexandrine Dutertry von Coffreo hat Herrn Dr Alexander Bissels, Partner sowie Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei CMS Deutschland, gefragt, wie Zeitarbeitsunternehmen sich behelfen können:

Herr Dr. Bissels:

Praktische Herausforderungen entstehen insbesondere aufgrund der Tatsache, dass der Nachweis der wesentlichen Vertragsbedingungen in elektronischer Form ausgeschlossen ist ( § 2 Abs. 1 Satz 3 NachwG).

 

Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift ist jedoch, dass § 2 Abs. 1 NachwG überhaupt einschlägig ist. Nach § 2 Abs. 5 Nachweisgesetzes entfallen aber die Verpflichtungen nach § 2 Abs. 1, 2 und 3 NachwG, also das Erfordernis eines Nachweises, sofern ein schriftlicher Arbeitsvertrag von vornherein die in § 2 Abs. 1 bis 4 NachwG geforderten Angaben über die wesentlichen Vertragsbedingungen enthält. Nach § 126 Abs. 3 BGB kann die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden, wenn sich aus dem Gesetz nicht ein anderes ergibt. Im Anwendungsbereich von § 2 Abs. 5 NachwG trifft das Gesetz allerdings gerade keine andere Regelung; hier kann die Schriftform nach einer meines Erachtens überzeugenden Ansicht in der juristischen Fachliteratur durch die elektronische Form substituiert werden. Der Verweis in § 2 Abs. 5 NachwG auf § 2 Abs. 1 bis 4 NachwG bezieht sich nach seinem Wortlaut nur auf die inhaltlichen, nicht aber auf die formalen Anforderungen dieser gesetzlichen Bestimmungen und damit auch nicht auf den Ausschluss der elektronischen Form nach § 2 Abs. 1 Satz 3 NachwG

 

Frau Dutertry:

Konkret bedeutet dies für Zeitarbeitsunternehmen, dass sie bei Vorliegen eines schriftlichen Arbeitsvertrags, der bereits alle erforderlichen Angaben nach § 2 Abs. 1 bis 4 NachwG enthält, nicht zusätzlich verpflichtet sind, diese Angaben in einem gesonderten Nachweis am ersten Tag der Arbeitsleistung in Papierform auszuhändigen? Entfallen diese Verpflichtungen gem. § 2 Abs. 1, 2 und 3 NachwG in solchen Fällen?

 

Herr Dr. Bissels:

Vereinfacht ausgedrückt kann meines Erachtens festgehalten werden, dass die Verpflichtungen nach § 2 Abs. 1, 2 und 3 NachwG (einschl. des schriftlichen Nachweises) nicht beachtet werden müssen, wenn der schriftlich abgeschlossene Arbeitsvertrag die wesentlichen Vertragsbedingungen selbst schon regelt, insbesondere:

  • den Namen und die Anschrift der Vertragsparteien,
  • den Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses,
  • bei befristeten Arbeitsverhältnissen: das Enddatum oder die vorhersehbare Dauer des Arbeitsverhältnisses,
  • den Arbeitsort oder, falls der Arbeitnehmer nicht nur an einem bestimmten Arbeitsort tätig sein soll, einen Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten beschäftigt werden oder seinen Arbeitsort frei wählen kann.

 

Arbeitsverträge müssen aber mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemäß § 126a BGB abgeschlossen werden.  Der Gesetzgeber hatte nämlich folgendes Ziel: den Schutz des Arbeitnehmers und die Sicherstellung, dass er seine Arbeit in Kenntnis der wesentlichen Vertragsbedingungen aufnimmt. Diese Ziele werden jedoch (auch) erreicht, wenn ein Arbeitsvertrag mit einer qualifizierten elektronischen Signatur abgeschlossen wird.

 

Frau Dutertry:

Um dieser Anforderung gerecht zu werden, bietet Coffreo die Möglichkeit, Arbeitsverträge mit einer qualifizierten elektronischen Signatur abzuschließen. Der Arbeitnehmer kann sich nun auf einfache und kostengünstige Weise mit einem Selfie-Verfahren identifizieren, was den gesamten Onboarding-Prozess beschleunigt. 

 

Wenn wir uns die Geschäftsprozesse von Zeitarbeitsunternehmen genauer ansehen, stellen wir fest, dass sich in bestimmten Fällen die wesentlichen Vertragsbedingungen für Zeitarbeitnehmer ändern können, beispielsweise im Hinblick auf übertarifliche Zulagen, die für bestimmte Kundeneinsätze befristet gewährt werden.  

 

Zeitarbeitnehmer müssen in diesem Fall keinen neuen Arbeitsvertrag erhalten. Allerdings müssen Änderungen der wesentlichen Vertragsbedingungen (gerade mit Blick auf das Entgelt) spätestens am Tag ihres Inkrafttretens an den Mitarbeiter schriftlich mitgeteilt werden (vgl. § 3 S. 1 NachwG). Bestünde dann die Möglichkeit, die neuen wesentlichen Vertragsbedingungen festzuhalten und dem Mitarbeiter nach Unterzeichnung durch den Arbeitgeber mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zukommen zu lassen, z.B. in einer sog. Einsatzmitteilung? Auf diese Weise wären Unterzeichner, Datum, Uhrzeit und die Integrität des Dokuments garantiert. Eigentlich liegt der Nachweis seitens des Arbeitgebers vor und der Arbeitnehmer muss nichts unterschreiben.

 

Herr Dr. Bissels:

Als EU-Verordnung ist die eIDAS EU-Verordnung seit 2016 unmittelbar geltendes Recht in allen 28 EU-Mitgliedstaaten. Artikel 25.2 eIDAS besagt „Eine qualifizierte elektronische Signatur hat die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift.“ 

 

Der Erwägungsgrund 49 der eIDAS Verordnung (EU) Nr. 910/2014 stellt klar, dass „die Rechtswirkung elektronischer Signaturen in den Mitgliedstaaten jedoch durch nationales Recht festgelegt werden sollte, außer hinsichtlich der in dieser Verordnung festgelegten Anforderungen, dass eine qualifizierte elektronische Signatur die gleiche Rechtswirkung wie eine handschriftliche Unterschrift haben sollte.“

 

Nachdem dem Zeitarbeitnehmer bereits ein Arbeitsvertrag überreicht wurde, den Anforderungen nach § 2 Abs. 5 NachwG genügt, sprechen wir in dem oben geschilderten Fall lediglich von „Änderungen“ der wesentlichen Vertragsbedingungen. In diesem Zusammenhang dürfte ein vom Arbeitgeber unterzeichnetes Dokument über die „Änderung der wesentlichen Vertragsbedingungen“, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist und an den Mitarbeiter ausgehändigt wird, den Vorgaben des Gesetzgebers, die im NachwG festgelegt worden sind, entsprechen. 

 

Frau Dutertry:

Außerdem stellt eine qualifizierte Signatur die Identität des Unterzeichners sicher. Die physische Person muss sich vorher identifiziert haben; nur sie kann die Unterschrift leisten. Eine qualifizierte elektronische Signatur bietet dem Arbeitnehmer mehr Sicherheit hinsichtlich der Identität des Unterzeichners im Vergleich zu einer einfachen handschriftlichen Unterschrift, die möglicherweise gefälscht worden sein könnte. Dies dient dem Schutz und den Interessen des Arbeitnehmers.

Herr Dr. Bissels, ich danke Ihnen herzlich für Ihre Zeit und hoffe, dass wir mit Ihrer Hilfe vielen Zeitarbeitsunternehmen eine neue Perspektive aufzeigen konnten.